Der "Radikalenerlass" von 1972 und seine Folgen

„Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“

(Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer und des Bundeskanzlers Willy Brandt vom 28. Januar 1972)

1. Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt; Beamte sind verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen. Es handelt sich hierbei um zwingende Vorschriften.

2. Jeder Einzelfall muss für sich geprüft und entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist dabei auszugehen:

 

  • 2.1 Bewerber

    1. Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.


    2. Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Einstellungsantrages.

    2.2 Beamte

    Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation  verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des § 35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, aufgrund derer er verpflichtet ist, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten, so hat der Dienstherr aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhaltes die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist.

 

3. Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze.

 

Quelle: Wikipedia "Radikalenerlass" nach dem Ministerialblatt von Nordrhein-Westfalen, 1972, S. 324. Auf Bundesebene wurde der Beschluss niemals offiziell veröffentlicht.

 

Es gab schon Vorläufer-„Fälle“ ab 1970, insbesondere im Schulbereich (also der Zuständigkeit der Bundesländer): Fließend war dabei der Übergang von der Disziplinierung einzelner engagierter Lehrer/innen zum offenen Ruf nach dem Ausschluss und Rauswurf von (vor allem) DKP-Mitgliedern aus dem Schuldienst. Nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur sind solche frühen „Fälle“ dokumentiert. In der 2022 ausgestrahlten ARD-Dokumentation „Jagd auf Verfassungsfeinde - Der Radikalenerlass und seine Opfer“ kommt Ernst Grube (geb. 1932) zu Wort, der 1970 als DKP-Mitglied erst dann an einer Schule arbeiten konnte, als er dem zuständigen Dezernenten den „Judenstern“ auf den Tisch gelegt hatte, den er als Kind hatte tragen müssen. In einem Beitrag des ARD-Magazins Panorama vom 18.10.1971 wurde „eine wachsende Zahl von Fällen“ aus Nordrhein-Westfalen vorgestellt, und der CDU-Politiker Ernst Benda (1925-2009) – kurz danach im Dezember 1971 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgericht gewählt - erläuterte seine Auffassung, dass eine „Einzelfallprüfung“ nicht nötig und die DKP-Mitgliedschaft (beispielhaft genannt) schon als solche mit der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst unvereinbar sei.

 

Michael Csaszkóczy: Im Räderwerk. Die gesetzlichen Grundlagen des Radikalenerlasses. Die Rote Hilfe 4-2021

 

Die Resonanz des „Radikalenerlasses“ in den damaligen Medien ist beispielsweise in einem Beitrag des im Januar 2018 erschienenen Berichts der „Niedersächsischen Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten Radikalenerlass" materialreich dokumentiert.

In einer zeitgeschichtlichen „Zeitleiste 1966-1983“ in der ZEIT vom 23.02.2006 stand zum Datum 28. Januar 1972: "Der Extremistenbeschluss (»Radikalenerlass«) schreibt vor, dass Bewerber für den öffentlichen Dienst und Beamte keinen extremistischen Organisationen angehören dürfen. Die Regierung zählt dazu auch die Deutsche Kommunistische Partei (das Foto zeigt ein Wahlplakat der DKP von 1971). Kritiker des Beschlusses sprechen von Berufsverboten." Zu diesen Kritikern gehörte natürlich auch diese seit 2001 bestehende Website  Abgebildet war an dieser Stelle in der ZEIT auch ein Plakat: "Kommunisten? Ja, wählt DKP". - (Ruft man allerdings ZEIT-Online vom 23.02.2006 (pdf) auf, endet der Text mit "...(das", es fehlt das Wahlplakat und der Satz von den Kritikern der Berufsverbote.)

 

Einige Etappen und markante „Fälle“ sind in historischen Sendungen des ARD-Magazins Panorama festgehalten, die noch in der Mediathek auffindbar sind: 18.10.1971 („Fälle“ schon vor dem bundesweiten „Radikalenerlass), 04.02.1974 (Ausbildungsverbot für Juristen), 10.03.1975 (Wortmeldung von 100 Professoren in Baden-Württemberg), 06.10.1975 (Familie Gingold), 12.04.1976 (Lokführer Rudi Röder), 04.02.1977 (fünf Jahre „Radikalenerlass“, u.a. der „Fall“ von Ilja Hausladen), 21.03.1977 (verlesene Gegendarstellung der Bezirksregierung von Schwaben), 29.08.1978 (Maßregelung des Polizeiobermeisters und Juso-Vorsitzenden Ulrich Roeder in Trier wegen Flugblatts gegen die Handhabung des „Radikalenerlasses“), 24.10.1978 (Zurückrudern in Hamburg)

 

Über die mit dem „Radikalenerlass“ einsetzende Entwicklung wurde in verschiedenen Beiträgen der Konferenz „30 Jahre Berufsverbote mahnen: Kein neuer Grundrechtsabbau! Wehrt Euch gemeinsam!“ am 9./10.2.2002 im Curio-Haus in Hamburg ein Überblick gegeben.

Neuere zeitgeschichtliche Einordnungen sind unter anderem in den Beiträgen von Georg Fülberth zu finden, die auf unserer Website dokumentiert sind:
• Vortrag in Frankfurt/Main am 5.5.2012 (pdf) (Tonaufzeichnung)
junge Welt, 28.1.2012 (pdf)
Forum Wissenschaft (BdWi) 01-2012 (pdf)

Diskussionsbeitrag für die Historische Kommission der Partei DIE LINKE, 25.02.2012 (pdf)

Oder von Wolfgang Wippermann (1945-2021) bei der GEW-Veranstaltung am 17.03.2012 in Göttingen: (Video auf youtube.com) (Audio, mp3, 20 MB). Oder - in der aktuellen bayerischen Variante - von Rechtsanwalt Hans E. Schmitt-Lermann bei der Podiumsdiskussion des „Bündnisses gegen Gesinnungsschnüffelei“ am 11.05.2017 in München (Video auf Youtube). In einer Online-Videokonferenz des „Gesprächskreises Bargteheide“ (Schleswig-Holstein) führte der Betreiber dieser Website am 11.08.2020 in das Thema ein. In einem 1987 veröffentlichten Beitrag von Horst Bethge (1935-2011) und Hannes Holländer wurden Das bisherige Ausmaß der Berufsverbotspolitik und ihre neueren Tendenzen“ nach dem damaligen Stand beleuchtet. Von dem Journalisten Eckart Spoo (1936-2016) gibt es eine Betrachtung über Die Wirkungsweise eines angeblich nicht existenten Phänomens“; er spricht von den „Berufsverbietern“ als Sammelbegriff für die politischen, administrativen, juristischen und Geheimdienst-Strukturen und Individuen, mit denen die Betroffenen es zu tun hatten.

 

Einen Überblick über die einschlägige Rechtsprechung gibt der Beitrag von Klaus Dammann (1946-2020): Berufsverbote und Europäische Menschenrechtskonvention. Rechtliche und politische Konsequenzen. In: Ralf-M. Marquardt/ Peter Pulte (Hrsg.): Mythos Soziale Marktwirtschaft. Arbeit, Soziales und Kapital [Festschrift für Heinz-J. Bontrup] Köln: PapyRossa 2019 (ISBN: 978-3-89438-692-4), S. 107-122, und (etwas gekürzt und ohne Fußnoten): Heinz-Jung Stiftung (Hrsg.): Wer ist denn hier der Verfassungsfeind? Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist. Köln: PapyRossa 2019 (ISBN 978-3-89438-720-4) S. 90-100. (Der im Januar 2020 verstorbene Autor hat im Lauf der Jahrzehnte zahlreiche Betroffene vertreten und an den einschlägigen Verfahren bei der ILO und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte persönlich mitgewirkt. Der genannte Text lag auch verschiedenen Vorträgen zugrunde, die er bis kurz vor seinem Tod gehalten hat.)

 

Erste Anzeichen eines Abrückens der SPD vom „Radikalenerlass“ (den das Saarland nie anwandte, der baden-württembergische SPD-Landesverband damals ablehnte) war das Eingeständnis Willy Brandts (1913-1992) in dem Rowohlt-Bändchen „Deutschland 1976 – zwei Sozialdemokraten im Gespräch“: „Ich habe mich damals geirrt.“ Der „Radikalenerlass“ habe „zu grotesken Fehlentwicklungen geführt“. Darüber berichtete die antifaschistische Wochenzeitung „Die Tat“ am 11.06.1976. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) pflichtete seinem Amtsvorgänger damals bei – was nichts daran ändert, dass sein Kabinett noch fünf Jahre später einige der schlimmsten, bösartigsten Berufsverbotsfälle auf Bundesebene zu verantworten hatte wie zum Beispiel den von Hans Peter. Die Ausführungen des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt über „Erwartungen an eine sozialdemokratische Rechtspolitik“ auf dem Rechtspolitischen Kongress der SPD 1980 in Saarbrücken kann man als vorsichtige Distanzierung von der Herangehensweise des „Radikalenerlasses“ deuten (im Internet bezeichnenderweise nur noch in einem Webarchiv abrufbar).

Eine bemerkenswerte Rede „Berufsverbote und kein Ende“ – mit vielen Informationen und viel Selbstkritik – hielt der Sozialdemokrat Joist Grolle (geb. 1932) am 3. Februar 1988 vor dem Konzil der Universität Oldenburg (die heute nach dem Antifaschisten Carl von Ossietzky (1889-1938) benannt ist). Der Historiker Grolle – 1968-78 Professor in Oldenburg, danach in Hamburg, auch GEW-Mitglied – war 1972-76 Staatssekretär und dann Wissenschaftsminister in Niedersachsen und gestaltete dort die Umsetzung des „Radikalenerlasses“ mit. 1980-87 war er Präses der Hamburger Schulbehörde und in dieser Eigenschaft zeitweise Vorsitzender der Kultusministerkonferenz. Die SPD war in dieser Zeit von der Berufsverbote-Politik bereits weitgehend abgekommen, die sie 1971 in Hamburg noch vor dem „Ministerpräsidentenbeschluss“ eingeführt hatte. Grolle kann also als wirklicher „Insider“ für das Thema gelten.
 
Eine anschauliche Einführung in das Thema ist der Film-Zusammenschnitt, der am 14.06.2012 bei der polithistorischen Revue "40 Jahre Radikalenerlass" in der Ladengalerie der "jungen Welt" in Berlin gezeigt wurde: (Ansehen auf vimeo.com) (mp4-Datei). Eine gute Einführung ist auch die Begleitbroschüre zur Ausstellung „,Vergessene’ Geschichte - Berufsverbote, Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland“. Sie kann für € 3 im Buchhandel bestellt werden: ISBN: 978-3-930726-25-7.  Anschauenswert sind auch der am 23.10.2016 ausgestrahlte Cartoonfilm Karambolage 406 des in Strasbourg ansässigen deutsch-französischen Senders ARTE (mp4) (pdf) (en français) (mp4) (pdf) und - ausführlicher, gehaltvoller, anhand konkreter Fälle - der am 22.10.2016 in ZDFinfo ausgestrahlte Film Geschichte Treffen. Gesinnung im Visier - der Radikalenerlass 1972“.

 

Erhellend als zeitgenössisches Dokument ist ein ausführlicher Beitrag der Illustrierten stern, Ausgabe 30/78 vom 20.07.1978. Wir haben bei unserem Scan bewusst die bebilderten Fallschilderungen weggelassen, die sich über mehrere Seiten erstrecken. Die damalige Veröffentlichung kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber nur die Betroffenen selbst können entscheiden, ob sie eine weitergehende Publicity - heute über das Internet - wünschen. (Man wird auf unserer Website grundsätzlich keine Falldarstellungen finden, die nicht ohnehin im Internet zu finden sind oder denen die Betroffenen nicht ausdrücklich zugestimmt haben!)

 

Feullletonistische Annäherungen an das Thema sind die Lesungen von

Rosa Jansen und Katharina Schenk (Video auf youtube.com) (Audio, mp3, 12 MB)

bei der GEW-Veranstaltung am 17.03.2012 in Göttingen und von

Erich Schaffner (Teil 1: mp3) (Teil 2: mp3,) (Teil 3: mp3) (Alle Texte, pdf)

bei der Veranstaltung am 5. Mai 2012 in Frankfurt/Main.

 

Eine originelle Form der Kommentierung waren zum Beispiel die Solidaritätsresolutionen aus vier Lehrveranstaltungen der Universität Stuttgart im Februar 1979, die an das Oberschulamt geschickt und Jahrzehnte später in der Akte des Betroffenen gefunden wurden.

 

Wie viele Betroffene gab es? Die genauesten, am gründlichsten belegten Zahlen enthielt bei Erstellung dieser Website das 1990 in den USA und dann 1992 auf Deutsch erschienene Buch Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst des amerikanischen Professors Gerard Braunthal (siehe unten in der Bibliografie) auf S. 63-65 der deutschen Ausgabe bzw. S. 47/48 der amerikanischen Originalausgabe. Doch es gab wohl eine hohe Dunkelziffer. So gab es beispielsweise - laut Braunthals Quellen - in Baden-Württemberg 70.000 „Sicherheitsüberprüfungen“, 487 „negative Akten“ und 50 „Entlassungen“. Doch im baden-württembergischen Hauptstaatsarchiv lagern laut Stuttgarter Zeitung (pdf) und Schwäbischer Zeitung (Ravensburg) (pdf) aus dem Bestand des Innenministeriums (1967-2001) Akten der Kategorie „Politische Betätigung von Beamten“, Untertitel: „Überprüfung der Verfassungstreue“ mit 2000 Namen. In Bremen gab es laut Braunthals Quelle 1973-75 421 "negative Akten" und 15 Ablehnungen. Tatsächlich gefunden wurden bei der Aufarbeitung in diesem Bundesland 2012/13 noch 63 Dossiers, die 27 Ablehnungen beinhalten. Da könnte also im Lauf der Jahrzehnte einiges geschreddert worden sein und es gibt jedenfalls noch einiges zu erforschen.

 

Wer sich dem Thema "Radikalenerlass" ohne große Vorkenntnisse und eigene Erfahrungen nähern will, mag die in einem Geschichte-Leistungskurs entstandene, unter dem Pseudonym "Enno Grossmoff" ins Internet gestellte Schüler-Facharbeit nützlich finden: (Word-Dokument).

Nicht empfehlen können wir dagegen die diversen Trittbrettfahrer-Produkte, wo im Internet für ein paar dürftige Seiten als "Book on demand" Fantasiepreise verlangt werden. Wer auf unserer Website stöbert, findet kostenlos garantiert mehr! Wir raten auch ausdrücklich ab von Publikationen, die das Bedürfnis (wessen eigentlich?) nach Nennung von möglichst vielen Namen befriedigen und aus Archiven schöpfen, die mit Methoden "verdeckter Ermittler" gegen den Willen der Betroffenen angelegt wurden.

 

(Zwischen-) Ergebnisse aktueller Forschungen zum Thema:

Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr. (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Norbert Frei. Bd. 13). Göttingen: Wallstein,  2013, ISBN 978-3-8353-1076-6 (zugl. Dissertation, Freie Universität Berlin, 2010)

(Diesem Buch haben wir eine eigene Sonderseite gewidmet.)

Alexandra Jaeger: Auf der Suche nach „Verfassungsfeinden“. Der Radikalenbeschluss in Hamburg 1971-1987. Reihe: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte (hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg); Bd. 58. Hardcover, 560 Seiten. Göttingen: Wallstein-Verlag 2019. ISBN: 978-3-8353-3410-6, € 46,00 (D), € 47,30 (A), € 36,99 für die E-Book-Version.

Heinz-Jung-Stiftung (Hg.):Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist. Redaktion: Dominik Feldmann / Patrick Ölkrug in Zusammenarbeit mit Renate Bastian, Gerhard Fisch und André Leisewitz. Paperback, 230 Seiten. Köln: Papyrossa-Verlag 2019. ISBN 978-3-89438-720-4, 18 Euro Verlagsankündigung, Inhaltsverzeichnis, Vorwort, Autorinnen und Autoren

Jutta Rübke (Hrsg.): Berufsverbote in Niedersachsen 1972-1990 - eine Dokumentation (pdf). Hannover, Mai 2018, 215 Seiten. (Die Herausgeberin, eine ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete, übte ein Jahr lang bis zum 31. Januar 2018 – bundesweit bisher einmalig – die Funktion einer „Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten Radikalenerlass“ aus. Das in Buchform veröffentlichte Ergebnis der Arbeit ihres Teams ist online noch verfügbar.)

Sigrid Dauks, Eva Schöck-Quinteros, Anna Stock-Mamzer (Hg.): Staatsschutz - Treuepflicht - Berufsverbot - (K)ein vergessenes Kapitel der westdeutschen Geschichte. Unter Mitarbeit der Studierenden des Projekts „Aus den Akten auf die Bühne“. Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ Band 12. Universität Bremen, Institut für Geschichtswissenschaft 2021. ISBN 978-3-88722-757-9 (lieferbar z.B. über die Universitätsbuchhandlung Bremen unibuch-bremen.de)

Jan-Henrik Friedrichs: „Was verstehen Sie unter Klassenkampf?“ Wissensproduktion und Disziplinierung im Kontext des „Radikalenerlasses“ In: Sozial.Geschichte Online / Heft 24 / 2018 (pdf). DuEPublico Dokumenten- und Publikationsserver der Universität Duisburg-Essen, Dezember 2018. (Der Autor, der bereits 2005 eine unveröffentlichte Magisterarbeit zum Thema verfasst hatte, schildert die Entwicklung im Land Bremen.)

Forschungsprojekt: Verfassungsfeinde im Land? Baden-Württemberg, '68 und der „Radikalenerlass“ - unter Leitung von Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Zentrum für europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK) des Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.  ProjektseiteZwischenbericht 2020 (Download) - Wissenschaftsblog zum Projekt

An der Universität Hildesheim beschäftigt sich unter der Leitung von Dr. Friedrichs ein DFG-Projekt mit dem Thema Die streitende Demokratie. Auswirkungen des "Radikalenerlasses" auf Gesellschaft und Subjekte am Beispiel der Institution Schule, 1967-1989

Eine Fundgrube von Informationen ist die 75seitige Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages über „Parlamentarische und zivilgesellschaftliche Initiativen zur Aufarbeitung des sogenannten Radikalenerlasses vom 28. Januar 1972“ (pdf lokal). Sie wurde 2017 von der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) in Auftrag gegeben. (Relativ kurz und nichtssagend ist dagegen die im gleichen Haus entstandene Ausarbeitung über den „Radikalenerlass in der deutschen und europäischen Rechtsprechung“ (pdf lokal), die - wegen des unglücklich formulierten Themas - weder die Verurteilung der Berufsverbote durch die ILO wegen Verstoßes gegen Kernarbeitsnormen noch das heute geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz überhaupt erwähnt.)

 

Ältere lesenswerte Bücher zum Thema, auf deren Seiten auch manche damaligen Auseinandersetzungen nachvollzogen werden können, sind nach wie vor (nur noch antiquarisch erhältlich, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit)

• Horst Bethge, Richard Bünemann, Hinrich Enderlein, Ingrid Kurz, Erich Roßmann, Theo Schiller, Helmut Stein, Gerhard Stuby (Hrsg) Die Zerstörung der Demokratie durch Berufsverbote. Köln: Pahl-Rugenstein (Kleine Bibliothek 71), 1976, 2.Aufl.1982, ISBN 3-7609-0212-X.

• Horst Bethge, Erich Roßmann (Hrsg) : Der Kampf gegen das Berufsverbot. Dokumentation der Fälle und des Widerstands. Köln: Pahl-Rugenstein (Kleine Bibliothek 43), 1973, ISBN 3-7609-0103-4.

Wolfgang Beutin, Thomas Metscher, Barbara Meyer (Hrsg): Berufsverbot. Ein bundesdeutsches Lesebuch. (Vorwort: Gerhard Stuby.) Fischerhude: Verlag Atelier im Bauernhaus (Fischerhuder Texte 15), 1976, ISBN 3-88132-015-6.
Gerard Braunthal: Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst: Der „Radikalenerlass“ von 1972 und die Folgen. Marburg: Schüren Presseverlag 1992, ISBN 3-89472-062-X. (Anders als spätere Bücher, deren Betrachtung 1990 endet, berücksichtigt dieses die Verurteilung der Berufsverbote durch die ILO. Neben der Übersetzung der 1990 in den USA erschienenen Originalausgabe enthält die deutsche Fassung einen Epilog: Das vereinte Deutschland und der Radikalenerlass“ von Klaus Dammann, der auch den Verfahrensstand 1992 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schildert.)

Jens A. Brückner: Das Handbuch der Berufsverbote. Rechtsfibel zur Berufsverbotepraxis. Berlin (West): Nicolaische Buchhandlung, 1977. ISBN 3-87584-061-5

Klaus Dammann, Erwin Siemantel (Hrsg.): Berufsverbote und Menschenrechte in der Bundesrepublik. Köln: Pahl-Rugenstein (Kleine Bibliothek 455), 1987, ISBN 3-7609-1149-8 (enthält den vollständigen Wortlaut des ILO-Berichts von 1987)

Andreas Dress, Mechtild Jansen, Ingrid Kurz, Aart Pabst, Uwe Post, Erich Roßmann (Hrsg.): Wir Verfassungsfeinde. (In Zusammenarbeit mit dem Arbeitsausschuss der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“, Hamburg). Köln:  Pahl-Rugenstein (Kleine Bibliothek 101), 1977, ISBN 3-7609-0313-4 (mit zahlreichen Fallschilderungen und internationalen Solidaritätserklärungen).

Heinrich Hannover, Günter Wallraff: Die unheimliche Republik. Politische Verfolgung in der Bundesrepublik. Hamburg: VSA-Verlag, 1982. ISBN-13: 9783879752195. - Reinbek: Rowohlt (rororo Taschenbuch Nr. 7836), 1984. ISBN 3-499-17836-2

Hanspeter Knirsch, Bernhard Nagel, Wolfgang Voegeli (Hrsg.): Radikale im öffentlichen Dienst? Eine Dokumentation. Vorwort: Dieter Schmidt (Leiter des Referats Hochschule und Forschung im Hauptvorstand der GEW). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (Informationen zur Zeit 1405), Mai 1973. ISBN 3-436-01772-8

• Jury, Beirat und Sekretariat des 3. Internationalen Russell-Tribunals (Hrsg.): 3. Internationales Russell-Tribunal. Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Band 2. Das Schlußgutachten der Jury zu den Berufsverboten. Berlin (West), 1978, ISBN 3-88022-195-2.

Weitere Literaturangaben enthalten die oben aufgeführten neueren Publikationen (Liste aus der Dokumentation über Niedersachsen). EIne Bezugsquelle für solche Bücher und Materialien

 

Und wer sich das antun will: Ein Beispiel für die „wissenschaftlich“ bzw. als „Beitrag zur politischen Bildung“ daher kommende Rechtfertigungsliteratur aus der Schreibküche des „Verfassungsschutzes“:

Peter Frisch: Extremistenbeschluss. Zur Frage der Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst mit grundsätzlichen Erläuterungen, Argumentationskatalog, Darstellung extremistischer Gruppen und einer Sammlung einschlägiger Vorschriften, Urteile und Stellungnahmen. Leverkusen: Heggen Verlag, 1976 (mehrere Auflagen), ISBN 3-920430-61-1.

 

Auch die Kritische Psychologie hat die Folgen in den Blick genommen:

Morus Markard: Berufsverbote, Opportunismus, Subjektentwicklung (Beitrag für die „Volksuni“, Pfingsten 1981, in Westberlin). Argument Sonderband AS 66 und Forum Kritische Psychologie 8/1981

 

Den Begriff "Berufsverbot" für das, was sie damit anrichteten, wollten sie natürlich nicht hören und lesen. Was sich der Staat Bundesrepublik Deutschland den Kampf gegen dieses "Wörtchen" damals kosten ließ, haben wir hier dokumentiert.

 

Wer und was steckt eigentlich hinter den Berufsverboten?

Diejenigen, die seinerzeit den 1981 "aus dem Dienst entfernten" Postbeamten Hans Peter (1930-1990) unterstützten, versuchten das anhand der Abläufe seiner Auseinandersetzung präzise herauszuarbeiten.