Berufsverbote: »Viele sind daran zerbrochen« Der Lehrer Klaus Lipps kämpfte 13 Jahre lang gegen das Berufsverbot und um seine Existenz Von Martin Höxtermann Heute vor 30 Jahren, am 28. Januar 1972, verabschiedeten Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder den so genannten Radikalenerlass. Die Folge waren Millionen von Gesinnungsüberprüfungen gegen Mitarbeiter und Bewerber des Öffentlichen Dienstes. Für den Lehrer Klaus Lipps begann ein langjähriger Kampf. Verfassungsfeind - das war Klaus Lipps in den Augen der Behörden. Einer, dem man nicht gestatten wollte, Gymnasiasten Französisch-, Mathematik- oder Sport-Unterricht zu erteilen. »Hexenjagd« nennt Lipps diese staatlich betriebene Jagd auf vermeintlich Radikale heute noch. »Es war der Versuch von eingefleischten und verbissenen Antikommunisten, die gesamte westdeutsche Linke kaputt zu machen und Biografien von Menschen zu zerstören, indem man ihre materielle Lebensbasis vernichtete.« Nicht nur aktive Linke waren betroffen, die gesamte außerparlamentarische Bewegung wurde eingeschüchtert. Statt Zivilcourage wurde Duckmäusertum gefördert. »Viele sind daran zerbrochen, viele noch heute traumatisiert«, so Lipps. --------------------------------------------------------------------------------- Von 1972 bis 1990 wurden in 3,5 Millionen Fällen Angehörige und Bewerber des öffentlichen Dienstes überprüft. - 35000 Dossiers führten zu 11000 Berufsverbots- und 2200 Disziplinarverfahren. - 1250 Bewerber wurden auf Grund der Überprüfung abgelehnt, 265 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wurden entlassen. Zahlreichen Mitarbeitern wurden Beförderungen im Beruf versagt. - Noch heute sind beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sechs Verfahren wegen Berufsverboten anhängig. --------------------------------------------------------------------------------- Als der damals 33-jährige Studienassessor aus Freiburg am Windeck-Gymnasium in Bühl (Baden-Württemberg) 1974 einen Antrag auf Ernennung zum Studienrat in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stellte, wurde auch er zur Anhörung ins Oberschulamt nach Karlsruhe zitiert. Denn die Regelanfrage beim Verfassungsschutz hatte ergeben, dass er sich »mehrfach als Referent in Parteiveranstaltungen der DKP betätigt« hatte, teilte das Stuttgarter Innenministerium mit. Im März 1975 folgte die fristlose Entlassung aus dem Schuldienst. Dienstvergehen: Mitgliedschaft in der DKP. »Wer die Lehren von Marx, Engels und Lenin verwirklichen will, kann das nur außerhalb der Verfassung und gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung tun, auch wenn er selbst erklärt, auf dem Boden dieser Grundordnung zu stehen und sie anzuerkennen«, so die Logik des Oberschulamts Karlsruhe. Konkrete verfassungsfeindliche Handlungen oder dienstliche Vergehen konnte ihm die Behörde freilich nicht vorwerfen. Im Gegenteil bestätigte das Oberschulamt, »dass bisher keine Anzeichen dafür festgestellt wurden, dass Klaus Lipps sich im Unterricht politisch betätigt hat oder versucht hat, Schüler in unzulässiger Weise "einschlägig" zu beeinflussen«. Gleichwohl wurde dies als reine Tarnung gewertet. »Dieses Verhalten ist Teil ihrer Strategie und stellt nur eines ihrer Mittel dar, durch die der Umsturz der freiheitlich demokratischen Grundordnung erreicht werden soll«, argwöhnte die Behörde. Wenige Monate später konnte Klaus Lipps erneut zum Schuldienst antreten. Denn das Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte entschieden, dass die Entlassung bis zu einem rechtskräftigen Urteil ausgesetzt wird. »Ich hatte das Glück, mein Verfahren als aktiver Lehrer führen zu können, denn so hatte ich auch die Unterstützung der Schüler und Eltern«, sagt Lipps. Inzwischen hatte sein Fall für großes Aufsehen gesorgt: Menschen aus ganz Europa solidarisierten sich mit dem Lehrer, der als GEW-Mitglied auch gewerkschaftliche Unterstützung erhielt. In einem Entschließungsantrag an das Europaparlament vom 20. Juli 1982 , dessen Unterschrift auch die der heutigen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) trägt, wurde die Aufhebung seiner Entlassung gefordert. Mittlerweile seiner zweiten, denn nachdem der Pädagoge sein erstes Verfahren im Mai 1977 gewonnen hatte, verfügte das Oberschulamt sechs Monate später erneut seinen Rauswurf. Im September 1982 hob das Verwaltungsgericht auch diese Verfügung auf. Nach Berufung und anschließender Nichtzulassungsbeschwerde des Oberschulamtes, das auf diese Weise eine Revision durchsetzen wollte, gewann Lipps schließlich im Mai 1986 in letzter Instanz. 15 Monate später wurde er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. 13 zermürbende Jahre lang hatte er juristisch und politisch dafür gestritten und war am Ende erfolgreich - anders als viele andere Bewerber, die dem Berufsverbot zum Opfer fielen und ihre erlernten Berufe niemals ausüben konnten. »Das war eine enorme psychische Belastung, die ich ohne die solidarische Unterstützung der vielen Menschen im In- und Ausland nicht durchgestanden hätte«, erinnert sich Lipps. »Ich hatte zwar oft die Nase gestrichen voll, doch die DKP, meine politische Heimat, hätte ich niemals verlassen«, sagt er. Aus Stolz und politischer Überzeugung: »Diesen Triumph wollte ich Ministerpräsident Filbinger und Innenminister Mayer-Vorfelder nicht gönnen.« Ein Jahr später hat er der DKP dennoch den Rücken gekehrt - und ist seitdem parteilos. »Das hatte parteiinterne Gründe; der DDR und der Sowjetunion habe ich mich noch länger verbunden gefühlt.« Anlässlich des 30. Jahrestages des Radikalenerlasses fordert Lipps eine vollständige Rehabilitierung aller Berufsverbotsopfer. Gemeinsam mit Anderen verfasste der Oberstudienrat einen Aufruf, in dem sie die Herausgabe und Vernichtung ihrer Verfassungsschutzakten, die Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung fordern. Bislang haben sich über 60 Berufsverbotsopfer dem Aufruf angeschlossen. Im Internet: www.berufsverbote.de (ND 28.01.02)