Meldung vom 2002-01-27 16:37:00 bdt0467 4 pl 285 dpa 2680 Geschichte/Extremismus/ (Wochenendzusammenfassung 1630 - mit dpa-Gespräch) Ex-Justizminister: Radikalenerlass war verfassungswidriger Missgriff Essen (dpa) - Der an diesem Montag vor 30 Jahren in Kraft getretene Radikalenerlass war nach Ansicht des früheren nordrhein- westfälischen Justizministers Diether Posser (SPD) einer der schwersten Fehler des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. «Das hat Brandt auch schon wenig später bereut», sagte Posser am Samstag in einem dpa-Gespräch in Essen. Mit dem so genannten Radikalenerlass hatte der SPD-Kanzler Brandt versucht, linksradikale Strömungen im Innern der Bundesrepublik einzudämmen. Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stand oder einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei angehörte oder mit ihr sympathisierte, konnte nicht in den Staatsdienst eintreten. Der vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Erlass wurde bereits 1976 in vielen Ländern nicht mehr angewandt und 1995 im Nachhinein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt. Wie die Vereinbarung selbst war auch die Bezeichnung jahrelang Ausgangspunkt ideologischen Streits: Was die einen «Radikalenerlass» nannten, war den anderen der «Extremistenbeschluss». Hintergrund war die Ostpolitik Brandts, die ihn innenpolitisch dem Vorwurf der Opposition aussetzte, die Bundesrepublik von Kommunisten unterwandern zu lassen. Für Posser war der Erlass «ein verfassungswidriger Missgriff.» Und: «Die Folgen waren verheerend.» Hunderttausende seien in beinahe inquisitorischen Verhören ausgefragt worden, vielen sei der Weg in den Lehrer- oder Juristenberuf versperrt worden. «Das damals viel benutzte Wort von der Berufsverbotspraxis ist absolut berechtigt», sagte der SPD-Politiker, der jahrelang dem Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag vorgestanden hatte. Fast noch schlimmer sei die Ausbreitung eines ausgeprägten Denunziantentums gewesen. «Wenn jemand hörte, da ist einer bei der DKP oder steht ihr nahe, dann wurde der gemeldet. Das war damals der allgemeine Zeitgeist», erinnerte sich der 79-Jährige. «Es herrschte eine antikommunistische Hysterie.» (Achtung: Dazu hat dpa am Samstag ein Stichwort gesendet - dpa pl 2653/1412). dpa gr/dm yyzz br 271637 Jan 02