H.E. SCHMITT-LERMANN
RECHTSANWALT
München
03.02.2012
Süddeutsche Zeitung
-Leserbriefredaktion-
per e-mail: leserbriefe@sueddeutsche.de
Leserbrief
Zu SZ v. 28./29.01.2012 S.5
Artikel: “Rubelscheine im Lehrerzimmer” von Tanjev Schultz
(Thema: Radikalenerlaß/Berufsverbote)
Als Anwalt, der in Bayern die meisten „Berufsverbotsfälle“ betreut hat, möchte ich die dankenswerte Darstellung von Tanjev Schulz dahin ergänzen, dass hier (wie in Baden-Württemberg) die Kommunisten zwar die am schwersten, aber keineswegs die meisten Betroffenen waren. Fast 70% gehörten den Organisationen der Friedensbewegung (darunter Religionslehrer) oder der linken SPD (Sozialdemokratischer Hochschulbund, streitbare Gewerkschafter) an. Es ging aber nicht nur um die Existenzbedrohung Einzelner.
Das war auch eine rechtskonservative Ideologiekampagne und Legitimationsschöpfung „von unten“, nachdem hochrangige Spektakel wie das KPD-Verbotsurteil oder die Hallstein-Doktrin eher peinlich geworden waren.
Da galt z.B. die in völkerrechtlichen Konventionen verankerte „friedliche Koexistenz“ als „leninistische Kampflosung“ und der immerhin von US-Präsident Eisenhower warnend geprägte Begriff des „militärisch - industriellen Komplexes“ als Verleumdung der verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung. Oft genug hatte man als Anwalt gleichsam einen an die Armesünderbank gefesselten Bundespräsidenten Heinemann vor dem auftrumpfenden Redaktionskollegium des „Bayernkurier“ zu verteidigen.
Es waren CSU-Nadelstiche in den weichen Unterleib der sozialliberalen Entspannungspolitik. Auch als “Schleichweg zum Sieg“ (Egon Bahr) nahm diese eben doch einen Mentalitätswandel in Kauf, der viele Geheimdienstler, Personalreferenten und Richter verstörte: Berufsverbote als Ersatzbefriedigung. Hier unten konnten die 50er Jahre weitergehen.
Bezeichnenderweise wurden oft gerade unter dem Dach eines „DKP-Falles“ weniger die kapitalkritischen Aussagen diskriminiert, die einen DKP-Vorsitzenden Mies und einen DGB-Vorsitzenden Vetter trennten, sondern solche, die ihnen gemeinsam waren.
Die verantwortlichen Organe fürchteten keinen Umsturz, sondern eine lang andauernde Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus. Nach ihrer eigenen konservativen Rechtstheorie von der „normativen Kraft des Faktischen“ (Carl Schmitt) würde damit letzterer langsam vom feindlichen Störfaktor zum gefühlten Ordnungsfaktor aufsteigen. Dagegen galt es anzugehen.
Und in einigen oberen Instanzen konnte man durchaus noch den Eindruck gewinnen, als wollten sich da Alte Kameraden an jungen Mädchen für Stalingrad rächen.
gez. Hans E. Schmitt-Lermann