Jürgen Hoffmann (Herten)

  Auf dem Foto aus der Deutschen Volkszeitung vom 12.06.1980

  konfrontiert Jürgen Hoffmann anlässlich eines SPD-Wahlkon-

  gresses in Essen den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt mit

  seiner Berufsverbote-Erfahrung.

 

  In dritter Generation gemaßregelt – nun bei

  der Deutschen Bundesbahn

 

  Steigt man heute in einen Zug, weiß man oft nicht, welche

  private „Firma“ in welchem Verkehrsverbund diese

  spezielle Zugverbindung betreibt. Da fällt es schwer, sich

  vorzustellen, dass die DB – damals „Deutsche

  Bundesbahn“ – bis 1994 nahezu flächendeckend für den

  westdeutschen Schienenverkehr zuständig und eine von

  einem Bundesminister geleitete Behörde war, und ihre

  Beschäftigten überwiegend Beamte.

 

Bei dieser Deutschen Bundesbahn begann Jürgen Hoffmann 1971 mit 16 Jahren eine Ausbildung im mittleren, nichttechnischen Beamtendienst, wurde 1973 Beamter auf Probe und leistete dann seinen 15monatigen Grundwehrdienst ab (damals galt noch die Wehrpflicht).

 

Er war auch ein politisch engagierter Mensch. Sein Großvater war Betriebsratsvorsitzender einer Schachtanlage gewesen und als Kommunist in drei Nazi-KZ eingesperrt. Sein Vater wurde in der Zeit des KPD-Verbots mehrfach wegen „Staatsgefährdung“ angeklagt. Auch Jürgen Hoffmann geriet ab 1976 in die Mühle der Berufsverbote. Er bestritt in insgesamt 10 Anhörungen nicht, Mitglied der SDAJ und DKP zu sein und hielt das für sein gutes Recht. Doch die Repressalien gingen weiter, bei Beförderungen wurde er übergangen. (Dabei war Jürgen einer der jüngeren Betroffenen – in Homburg (Saar) musste ein 48jähriger Bundesbahn-Hauptsekretär sich nach 25jähriger Tätigkeit bei der Bahn verantworten, während aus dem saarländischen Landesdienst keine Fälle bekannt sind.)

 

Zwischen 1974 und 1980 war Kurt Gscheidle (1924-2003, ehemals stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft, 1969 Anwärter auf den DGB-Vorsitz) gleichzeitig Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen – also zuständig für die Bundespost  – und Bundesminister für Verkehr und damit auch zuständig für die Deutsche Bundesbahn. Nicht nur an Post-, sondern auch an Bahnbeamten exerzierte Gscheidle bis Herbst 1980 jenes Spiel mit verteilten Rollen, das beispielsweise bei dem Technischen Fernmeldehauptsekretär Hans Peter aus Stuttgart (1930-1990) besonders grausam endete (und in dessen Fallschilderung auf dieser Website und in dem Buch Der Fall Hans Peter. Entlassung eines „Verfassungsfeindes“. Dokumentation + Analyse beschrieben ist). Ein Zeitungsbericht aus Hamburg vom Juni 1979 spricht von 40 „Fällen“ bei Post und Bahn in der Ära Gscheidle. „Während sich die BRD ... als ein weltoffenes Land mit modernsten verkehrstechnischen Errungenschaften präsentiert, hält ... Bundesverkehrsminister Gscheidle an den politischen Traditionen der technischen Gründerzeit fest“, wurde aus einer Presseerklärung der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ zitiert. (Eine gewisse Bekanntheit erreichte schon 1976 die Ankündigung der Entlassung des Würzburger Lokführers Rudi Röder (SPIEGEL 15/1976 vom 05.04.1976 - pdf). Auch dessen Vater war Eisenbahner gewesen, der Widerstand gegen die Nazis leistete.)

 

Parallel zu entsprechenden Medienkampagnen wurde gegen Bundesbeamte als Kettenhund der Bundesdisziplinaranwalt Hans Rudolf Claussen (pdf) von der Leine gelassen. Dessen Anspruch, eigenständig tätig werden zu können, beruhte auf einem von ihm selbst verfassten Gesetzeskommentar; aber die Minister des damaligen Kabinetts Helmut Schmidt ließen ihn gewähren. Um die SPD- und Gewerkschaftsbasis zu besänftigen, behauptete Gscheidle gelegentlich, seine Position decke sich nicht mit der des Bundesdisziplinaranwalts, auch die Presse gab es teilweise so wieder, aber das traf nachweislich nicht zu. (Mehr zu Gscheidle und Claussen auch hier.)

 

Gegen Jürgen Hoffmann wurde von der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zum 31.03.1979 – zufällig dem Tag einer Großkundgebung gegen Berufsverbote in Bonn - eine „Entlassungsverfügung“ ausgesprochen. Wörtlich heißt es darin:

„Es wird nicht bestritten, dass Sie sich im Dienst parteipolitisch zurückgehalten und nicht versucht haben, Kollegen von der kommunistischen Ideologie zu überzeugen. Sie bieten aber wegen Ihrer Betätigung für eine kommunistische Partei außerhalb Ihres Dienstes nicht die Gewähr der Verfassungstreue und erfüllen damit nicht die persönlichen Eignungsmerkmale ..., die ... Voraussetzungen für die Anstellung auf Lebenszeit sind.“

 

Er legte Widerspruch ein, was (wie auch das anschließende verwaltungsgerichtliche Klageverfahren) normalerweise aufschiebende Wirkung hat, die aber in diesem Fall von der Bundesbahn zurückgewiesen wurde, da angeblich ein zwingendes, öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug bestehe; erst auf den letzten Drücker am 30.03.1979 wurde die aufschiebende Wirkung dann doch akzeptiert. Jürgen Hoffmann blieb also zunächst weiterhin im Beamtenverhältnis, während das Verfahren sich hin zog.

 

Er kämpfte auch öffentlich gegen die drohende Kündigung, wandte sich an den OB von Essen (gleichzeitig GdED-Bezirksleiter) und den DGB, und bekam viel Solidarität – aus seiner Gewerkschaft GdED und anderen Gewerkschaften, der Berufsverbote-Initiative aus Bottrop (die auch einen Brief an Gscheidle schrieb), dem christlichen Antifaschisten Wilhelm Wissing (dessen Vater Jürgens Großvater aus dem Nazi-KZ herausgeholfen hatte), dem örtlichen SPD-Abgeordneten, Jungsozialisten, Jungdemokraten und auch aus Frankreich. Ausführlich berichteten die lokale „Buersche Zeitung und Hertener Allgemeine“ am 20.02.1979, 22.02.1979, 07.03.1979 und 29.03.1979, die antifaschistische Wochenzeitung „Die Tat“ am 30.03.1979. Die damalige Presse berichtet von fantasievollen gemeinsamen Aktionen der Bahn- und Post-Betroffenen, zum Beispiel zur Internationalen Verkehrsausstellung im Juni 1979 in Hamburg und einem Sitzstreik in Bonn mit „Anketten“ auf dem Hauptbahnhof im Oktober 1980 (Frankfurter Rundschau, Bonner Express).

 

Eine neue Situation entstand, als im Ergebnis der Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980 die Personalunion zwischen Post- und Verkehrsministerium endete. Trotz Mehrheit der CDU/CSU bildeten SPD und FDP die neue Regierung. Der SPD-Politiker Volker Hauff – der vormalige Bundesforschungsminister – wurde neuer Verkehrsminister und damit für die Bundesbahn-„Fälle“ zuständig. Er suchte einen für alle Beteiligten gesichtswahrenden Ausweg und fand ihn darin, den Betroffenen bei der Bahn die Übernahme in ein diskriminierungsfreies Angestelltenverhältnis anzubieten (und damit die Zuständigkeit des Bundesdisziplinaranwalts zu beenden.)

 

Zwar stand im Ministerpräsidentenbeschluss vom 28.01.1972 – dem sogenannten „Radikalenerlass“ – der Satz: „Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze.“, zwar hatte es Kündigungsversuche gegen Tarifbeschäftigte gegeben (am 30.06.1981 gegen den Betreiber dieser Website), doch die SPD tat nun so, als gehe es „nur um die Beamten“. Hauff legte das – anders als der bis 1982 weiter als Postminister amtierende Gscheidle – so aus, dass mit einem Angestelltenverhältnis auch tatsächlich für die Betroffenen die Diskriminierung und Benachteiligung beendet sein sollten. Zwischen DB und GdED wurden für die Betroffenen in aller Stille die entsprechenden Details und Kompensationen ausgehandelt.

 

Jürgen Hoffmann stellte nun einen Antrag auf Beendigung des Beamtenverhältnisses, bat gleichzeitig um Weiterbeschäftigung als Angestellter, und ab 01.04.1981 trat es so in Kraft. Seine Tätigkeit als Fahrdienstleiter konnte er weiter ausüben und wurde dafür nunmehr nach dem DB-Tarifvertrag bezahlt. Seine 9 1/2 Jahre Beamtenzeit wurden abzüglich des Grundwehrdienstes bei der Rentenversicherung nachversichert.

 

In der „Eisenbahner-Rundschau“ vom Mai 1981 der Beamtenbund-Gewerkschaft GDBA wurde Verkehrsminister Hauffs Vorgehen mit einem gewissen Verdruss kommentiert. Auch aus einem Beitrag im SPIEGEL vom 16.04.1981 lässt sich die damalige Auseinandersetzung nachvollziehen.

 

Jürgen Hoffmann war von seinen Kolleginnen und Kollegen anerkannt. Noch zu Bundesbahnzeiten wurde er in den Personalrat seiner Dienststelle gewählt, war später Betriebsrat bei der Deutschen Bahn AG und zuletzt bis zum Ruhestand hauptamtlich für seine Gewerkschaft tätig, die sich 2000 von GdED in TRANSNET umbenannte und 2010 mit der vormaligen Konkurrenz GDBA zur heutigen EVG im DGB fusionierte.