junge Welt, 28.01.2002 Interview: Martin Höxtermann 30 Jahre Berufsverbote: Wiederholt sich die Geschichte? ------------------------------------------------------- jW sprach mit Heinz Siebold. Er ist Journalist und lebt in Freiburg. Wegen seiner einstigen DKP-Mitgliedschaft wurde der Lehrer mit Berufsverbot belegt F: Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz wurde inzwischen in allen Bundesländern abgeschafft. Ist damit das Kapitel »Berufsverbote in Westdeutschland« endgültig abgeschlossen? Nein, es gibt immer noch Betroffene, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen und auf ihre Rehabilitierung warten. Es gibt Tausende von Menschen, die durch den »Radikalenerlaß« 1972 ihren erlernten Beruf nicht oder nicht mehr ausüben können. F: Wie viele Menschen waren denn von dem »Radikalenerlaß« betroffen? Per »Regelanfrage« wurden etwa 3,5 Millionen Bewerber und Anwärter des öffentlichen Dienstes vom Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit durchleuchtet: Lehrer, Lehramtsanwärter, Sozialarbeiter, Briefträger, Lokführer und Juristen. In der Folge kam es zu 11000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbern und 265 Entlassungen. Diese Angaben machte die Bundesregierung gegenüber der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die 1987 die Berufsverbotspraxis verurteilte. Andere offizielle Zahlen gibt es nicht, ich gehe von einer großen Dunkelziffer aus. F: Die Behörden gingen bei der Verfolgung von angeblichen Verfassungsfeinden in den siebziger und achtziger Jahren oftmals bis in die höchste juristische Instanz. Was sollte erreicht werden? Die Berufsverbote gehörten zu den letzten Zuckungen des Kalten Krieges. Die ideologische Grundlage war der militante Antikommunismus. Die SPD sicherte ihre Ostpolitik innenpolitisch ab, um dem von rechts geschürten Verdacht der ideologischen Aufweichung zu begegnen. Zugleich wurde der unruhigen Nach-68er-Generation an den Universitäten demonstriert, welche Folgen linkes Engagement nach sich zieht. F: Welche Folgen hatte das Berufsverbot für die Betroffenen? Einschüchterung und Existenzbedrohung. Wer auf Lehramt studierte, hatte kaum eine andere Möglichkeit, als seinen Beruf im Staatsdienst auszuüben. Die freie Berufswahl und das Recht auf freie Berufsausübung wurden ebenso eingeschränkt wie das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Der »Radikalenerlaß« drängte Menschen ins Abseits. F: Der sogenannte Radikalenerlaß von 1972 richtete sich vor allem gegen die DKP. Haben Sie im Rückblick den Eindruck, daß die Kommunistische Partei die juristischen Verfahren und damit auch die Betroffenen instrumentalisiert hat, um sich politisch zu profilieren? Sie hat sich zumindest politisch ungeschickt verhalten und ihre akademischen Mitglieder in eine Auseinandersetzung laufen lassen. Die Berufsverbote waren eine Art verdecktes Parteiverbot, denn wer sich der DKP anschloß, mußte mit schweren Folgen rechnen. Die Partei hätte darauf vielleicht anders reagieren sollen, aber vermutlich wäre das auch egal gewesen, weil die Gegenseite selbst eine Unterwerfungserklärung nicht honoriert hätte. Bis weit in die 80er Jahre vergiftete die staatlich betriebene Jagd auf vermeintliche Radikale das politische Klima. Das Berufsverbot war eine Keule, die jeder Provinzpolitiker gegen mißliebige Kritiker schwingen konnte. Staatliche Organe und Justiz haben hysterisch überreagiert, denn eine wirkliche Bedrohung des Rechtsstaates war zu keiner Zeit gegeben. F: Eine Rehabilitation der Berufsverbotsopfer hat bis heute nicht stattgefunden. Wie könnte eine Wiedergutmachung aussehen? Alle noch anhängigen Verfahren sollten rasch und unbürokratisch auf politischem Wege bereinigt werden. Die Verfassungsschutzdossiers sollten den Betroffenen ausgehändigt werden. Zwar wurden einige Lehrerinnen und Lehrer wieder eingestellt, doch nur in einem Fall wurde nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Entschädigung gezahlt. Gerade die SPD steht in einer moralischen Pflicht, weil deren Kanzler und Parteivorsitzender 1972 den Radikalenerlaß eingeführt hat. F: Derzeit wird per Regelanfrage beim Verfassungsschutz Jagd auf mutmaßliche arabische Terroristen gemacht. Wiederholt sich die Geschichte? Pauschale Feindbilder sind immer gefährlich, und es ist eine schlechte deutsche Tradition, in echten oder vermeintlichen Bedrohungsfällen weit über das Ziel hinauszuschießen. Ich fürchte, daß sich Gesinnungsverfolgung und Abbau demokratischer Rechte bei uns jederzeit wiederholen können.