Id: 1300432 V-Datum: 28/01/2002 Publikation: FR Ressort: NAC Edition: D Seite: 5 Ausg.-Nr.: 23 Zeilen: 64 IM GESPRÄCH "Verheerende Folgen" Posser zum Radikalenerlass Vor nunmehr 30 Jahren trat der Radikalenerlass in Kraft. Mit dem Versuch, linksradikale Strömungen auszugrenzen, hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt nach Ansicht des früheren nordrhein-westfälischen Justizministers Diether Posser (beide SPD) einen der schwersten Fehler seiner Regierungszeit gemacht. "Das hat Brandt auch schon wenig später bereut", sagte Posser am Wochenende in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. -------------------------------------------------------------------------------- Mit dem so genannten Radikalenerlass hatte Kanzler Brandt versucht, linksradikale Strömungen im Innern der Bundesrepublik einzudämmen. Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stand oder einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei angehörte oder mit ihr sympathisierte, konnte nicht in den Staatsdienst eintreten. Der vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Erlass wurde bereits 1976 in vielen Ländern nicht mehr angewandt und 1995 im Nachhinein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt. "Die Folgen waren verheerend", erinnert sich Posser heute an den Beginn der 70er Jahre: "Es war ein verfassungswidriger Missgriff." Hunderttausende seien in beinahe inquisitorischen Verhören ausgefragt worden, vielen sei der Weg in den Lehrer- oder Juristenberuf daraufhin versperrt worden. "Das damals viel benutzte Wort von der Berufsverbotspraxis ist absolut berechtigt", sagte der SPD-Landespolitiker, der jahrelang dem Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag vorgestanden hatte. Fast noch schlimmer sei das sich in diesem Zusammenhang damals ausbreitende Denunziantentums gewesen. "Wenn jemand hörte, da ist einer bei der DKP oder steht ihr nahe, dann wurde der gemeldet. Das war damals der allgemeine Zeitgeist", blickte der 79-jährige Posser zurück: "Es herrschte eine antikommunistische Hysterie", setzte der frühere Düsseldorfer Justizminister hinzu. Dabei sei der so genannte Radikalenerlass damals völlig überflüssig gewesen. "Die Beamtengesetze boten genügend Möglichkeiten, Verfassungsfeinde fern zu halten", sagte Posser. Allein aus diesem Grund hält er eine ähnliche Praxis in der heutigen Zeit für absolut ausgeschlossen: "Es gibt heute so viele eindeutige juristische Entscheidungen - so etwas wäre nicht mehr durchsetzbar".