Erhard Jöst (Heilbronn)

Kultus und Spott - leider nicht nur eine Provinzposse

 

„Neue Bildpost“ 25.01.1981 (ein in katholischen Kirchen ausliegendes Blättchen)

 

Der Kabarettist Erhard Jöst (geb. 1947) wurde als engagierter, aber dem Kultusminister nicht genehmer Lehrer in Baden-Württemberg jahrzehntelang schikaniert, diffamiert, als „Verfassungsfeind“ verdächtigt.

Falldarstellung für den „Runden Tisch“ in Baden-Württemberg am 19.06.2015

Redebeitrag beim „Runden Tisch“

 

1968: Das Oberschulamt behauptet frank und frei / daß ich ein Achtundsechziger sei. / Ich danke sehr für diese Ehr' / doch trug ich damals ein Gewehr / und diente bei der Bundeswehr. --> Fortsetzung des Gedichts

 

1974 machte der Gymnasiallehrer Erhard Jöst sein Erstes Staatsexamen in Germanistik und Geschichte

 

1976 Promotion zum Dr. phil. mit der Arbeit „Bauernfeindlichkeit. Die Historien des Ritters Neithart Fuchs“ (Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 192)

 

1977 Zweites Staatsexamen

 

1976-1977 Studienreferendar in Karlsruhe, Schwetzingen und Mannheim

 

1978 bis 2011 Lehrer für Deutsch, Geschichte, Politik und Ethik in Bad Mergentheim und Heilbronn

 

1986 bis 1995 Örtlicher Personalrat am Theodor-Heuss-Gymnasium Heilbronn

 

2008 bis 2011 Vorstandsmitglied im Bezirkspersonalrat der Lehrer an Gymnasien beim Regierungspräsidium Stuttgart

 

Dr. Jöst wurde Jahrzehnte lang - hauptsächlich in der Zeit, in der der CDU-Politiker und spätere VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder (1933-2015) Minister für Kultus und Sport von Baden-Württemberg war, aber auch noch danach in der Amtszeit von „Dr.“ Annette Schavan (geb. 1955) als Kultusministerin - diffamiert und schikaniert sowie ständig mit aufwändigen Verfahren auf „Verfassungstreue“ überprüft. In rechtswidriger Weise wurde seine Bewerbung für eine Funktionsstelle gar nicht bearbeitet, mehrmals wurde ihm die Entlassung und „Berufsverbot“ angedroht.

 

1978: Denunziationen und Rufmordfeldzug gegen Jöst, weil er in Bad Mergentheim als Vorsitzender der Jungsozialisten agierte und Podiumsdiskussionen (zum Beispiel mit dem in der Friedensbewegung engagierten General Gert Bastian (1923-1992)) und kulturelle Veranstaltungen (z.B. mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt (1927-2013)) organisierte (1)

 

1981: Wegen der Verwendung eines Zweizeilers aus Heinrich Heines Werk „Deutschland - Ein Wintermärchen“ in einer Heiratsanzeige - als angeblicher Verstoß gegen das Beamtenrecht - ordnet Kultusminister Mayer-Vorfelder eine dreifache Bestrafung an: Disziplinarverfahren, Probezeitverlängerung und eine „Strafversetzung“, was einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht und ein großes Medienecho in Presse, Rundfunk und TV zur Folge hat. Beispielsweise berichtete darüber Der Spiegel Nr. 25/1981 am 15.06.1981 sowie in Nr. 29/1981 am 13.07.1981 und es war Thema der baden-württembergischen Landtags-Drucksache 8/1404 v. 25.5.1981. In einer damals in „Kennzeichen D“ (ZDF) ausgestrahlten Sendung stieg ein hervorragend dargestellter (und nur authentisch überlieferte Sätze sprechender) Heinrich Heine aus dem Grab, fuhr (ständig observiert) mit der Pferdekutsche nach Bad Mergentheim und Stuttgart und wunderte sich sehr (oder auch nicht ...)

 

1981: Androhung von disziplinarrechtlichen Maßnahmen, weil Jöst einen „Aufruf gegen Berufsverbote“ unterzeichnet hatte. Der Drohbrief wurde zu den Personalakten genommen und erst 1995 entfernt, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass der „Radikalenerlass“ einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1950 darstellt. (Nachbetrachtung dazu aus dem Jahr 1995)

 

1987: „Staatsaktion nach satirischer Hymne. Lehrer wird stundenlang überprüft“ (Südwestpresse vom 6.10.1987). Jöst hatte in der Tageszeitung eine Persiflage auf eine angeblich neu entstandene Landeshymne veröffentlicht (vorgetragen von dem Kabarett GAUwahnen). (Eine offizielle Landeshymne für Baden-Württemberg existiert bis heute nicht.) Kultusminister Mayer-Vorfelder bezeichnet Jöst daraufhin als „Volksverhetzer“ (!) und strebt die erneute Einleitung eines Disziplinarverfahrens an. Er lässt überprüfen, ob der Lehrer noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehe und die Landesverfassung einhalte.

 

1991: Um zu verhindern, dass der Lehrer Mayer-Vorfelders diffamierende Äußerungen sichten und ggf. gegen sie vorgehen kann, wird ihm die Einsichtnahme in die eigene Personalakte verweigert. Der Landtag lehnt die Petition 9/6681 des Lehrers (2) mit der CDU-Mehrheit ab. (3)

 

1995: Zweite „Strafversetzung“. Obwohl Jöst am Theodor-Heuss-Gymnasium den Vorsitz im Örtlichen Personalrat hatte, wird er nach einem Konflikt, den der Schulleiter mit dem Kollegium führte, vom THG ans Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium zwangsversetzt und verliert dadurch sein Amt. (4) In einem Schreiben vom 24.10.1995 erinnert er den Präsidenten des Oberschulamts Stuttgart an das kurz vorher ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Thema der Berufsverbote.

 

1996: Eine den Kultusminister Mayer-Vorfelder betreffende Eingabe an den Ministerpräsidenten Lothar Späth (geb. 1937) gibt dieser an den Betroffenen weiter. Der Minister nimmt sie zum Anlass, um erneut disziplinarrechtliche und dienstrechtliche Maßnahmen gegen Jöst prüfen zu lassen.

 

1999/2000: Das Oberschulamt weigert sich in rechtswidriger Weise, die Bewerbung von Jöst auf eine Funktionsstelle weiter zu bearbeiten mit der Begründung, es halte „Dr. Jöst auf Grund seiner Einstellung zur gesamten Schulaufsicht für 'nicht geeignet' für die Funktion eines Fachberaters. Das Kultusministerium stimmt mit dem Oberschulamt überein, dass es zu dieser Feststellung keines Überprüfungsverfahrens bedarf.“

 

Quellen:

(1) Die Bauchlandung der Jungen Union. Wie der Nachwuchs der CDU Berufsverbote vorbereitet. In: Deutsche Volkszeitung vom 17.5.1977)

(2) Landtag von Baden-Württemberg, Landtags-Drucksache 10/4758 v. 1.3.1991)

(3) „Der Minister und der 'Volksverhetzer“. Stuttgarter Zeitung vom 12.03.1991, „Der Trick“, Heilbronner Stimme vom 05.04.1991

(4) siehe z.B.: „Ein Bauernopfer“ von Amts wegen?, Heilbronner Stimme v. 6.9.1995, „Willkür-Akt gegen demokratisches Recht“, HSt v. 2.8.1995, Abgekartete Sache im Fall Erhard Jöst?, HSt. v. 8.11.1995

(5) Landtag von Baden-Württemberg, Landtags-Drucksache 10/1301 vom 14.3.1989).

 

Literaturhinweise: - leider sind diese Bücher nur noch antiquarisch erhältlich; weitere und auch aktuell erhältliche Schriften des Autors sind in seinem Wikipedia-Eintrag zu finden

Ruth Broda/Erhard Jöst: Wintermärchen in der Provinz. Ein Heine-Zitat und seine Folgen, Freiburg (Dreisam-Verlag) 1981, ISBN 3-921472-49-0 (dort auch die Chronologie der Darstellung des Falles in den Medien)

Ruth Broda: Der Schulfriede ist in Gefahr. Die „Fälle“ des Gymnasiallehrers Jöst und des Hauptschullehrers Schwarz. Eine Dokumentation, Stuttgart (Verlag H. D. Heinz) 1982, ISBN 3-88099-612-1

Die gemeinen Leiden des Lehrers Jöst. Als 'Roter' lehren und leben in der Provinz. Von Thomas von Machui. In: päd. extra Heft 12/1981

Erhard Jöst: Kultus und Spott. Provinzpossen und Schulsatiren, Stuttgart (Verlag H. D. Heinz) 1997, ISBN 3-88099-639-3