Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die EU-Richtlinie 2000/78/EG

Eine veränderte Rechtslage, nicht mehr ganz vergleichbar mit der in der „Blütezeit“ der Berufsverbote in den 70er und 80er Jahren, ist in Deutschland durch das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes entstanden. Es wurde verkündet als Artikel 1 des „Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ und trat ab 18.08.2006 in Kraft.

 

Worum geht es, in aller Kürze?

Das AGG zielt darauf, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder des sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1).„Benachteiligungen“ aus einem der genannten Gründe sind „unzulässig in Bezug auf
1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den politischen Aufstieg,
2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich ... Entlassungsbedingungen, insbesondere in ... Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3. den Zugang zu allen Formen zu allen Formen und allen Ebenen der ... Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung ...“
(§ 2) Und so weiter.

Nicht nur „unmittelbare Benachteiligung“ in Form einer „weniger günstigen Behandlung“ ist unzulässig (§ 3 Abs. 1), sondern auch eine „mittelbare Benachteiligung“, indem „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können ...“ (§ 3 Abs. 2). Auch „die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung“ (§ 3 Abs. 5).

Diese gesetzlichen Bestimmungen ergänzen heute (!) den Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:
„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden ...“

So weit so klar. Aber was hat das mit den hier behandelten Berufsverboten zu tun? Die wurden schließlich jahrzehntelang von deutschen Richtern abgesegnet, Grundgesetz hin oder her. Das AGG redet nur von „Benachteiligungen aus Gründen der Weltanschauung“. Einschlägige Kommentare klären uns darüber auf, was mit diesem Begriff gemeint ist und was heute anders ist.

Es gibt zwar eine deutsche Tradition von Rechtskommentaren und Richtersprüchen, die auslegen, was unter einer „Weltanschauung“ zu verstehen sei. Aktuelle „politische“ Programme“ sollen damit nicht gemeint sein. Aber das AGG ist eine „Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“. Die wichtigste davon ist die Richtlinie zur Schaffung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung vom 27.11.2000 – 2000/78/EG. Derartige EU-Richtlinien existieren nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in 19 weiteren Sprachen, und alle diese Fassungen sind gleichermaßen authentisch!

„In allen anderen Sprachfassungen schützt die Richtlinie gegen eine Diskriminierung wegen ‚Überzeugungen' (z.B. ‚belief' in der englischen und ‚les convictions' in der französischen Fassung). Auch Art[ikel] 14 [der] EMRK [Europäischen Menschenrechtskonvention] schützt neben der Religion nicht bloß Weltanschauungen, sondern ‚politische und sonstige Anschauungen', stellt also ebenfalls nur auf Ansichten und Überzeugungen ab und verlangt keine Weltanschauung im herkömmlichen Sinne.
Der Begriff der Weltanschauung [im AGG] ist daher nicht eng im Sinne des hergebrachten deutschen Verständnisses, sondern weit im Sinne einer ‚Überzeugung' auszulegen. Geschützt werden nicht nur umfassende, die Welt insgesamt erklärende Ansichten, sondern auch solche Überzeugungen, die sich auf Teilbereiche des Lebens beziehen. Der Vegetarier und seine Überzeugung wären demnach genauso geschützt wie der Marxist und seine Weltanschauung.
(Zitat aus: Wolfgang Däubler, Jens Peter Hjort, Dietmar Hummel, Martin Wolmerath (Hrsg. ) Arbeitsrecht. Individualarbeitsrecht mit kollektiven Bezügen. Handkommentar. Baden-Baden: Nomos, 2008. ISBN 978-3-8329-2588-8. Hier: S. 87 f. mit weiteren Nachweisen. Hervorhebungen von www.berufsverbote.de.

Ein Artikel in einer juristischen Fachzeitschrift, in dem dieser Gedanke ausführlich entwickelt und begründet wird, kann hier nachgelesen werden: Däubler, NJW (pdf, 66 kB)

Das AGG, das deutsche nationalstaatliche Recht zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2000/78/EG, kann in Deutschland nichts anderes bedeuten und zu keinen anderen Folgen führen als – sagen wir - in Frankreich oder den Niederlanden. Das ist die zwingende Folge der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der EU ist und sich deren Gemeinschaftsrecht – als höherrangigem Recht – unterworfen hat.

Was würde passieren, wenn eine deutsche Behörde das AGG anders auslegt und handhabt und Betroffene sich dagegen vor deutschen Gerichten zur Wehr setzen? Die deutschen Gerichte wären nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet (denn es gibt das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter!), die EU-konforme Auslegung des deutschen Rechts vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überprüfen zu lassen. Der entscheidet dann endgültig und bindend. Selbst das deutsche Bundesverfassungsgericht könnte sich darüber nicht mehr hinwegsetzen.

Solche Verfahren dauern nur wenige Wochen und Monate. Den mühsamen jahrelangen deutschen Instanzenweg bis zum Bundesverfassungsgericht – bei dem in der Vergangenheit so viele Berufsverbote-Betroffene auf der Strecke blieben – gibt es hier nicht!

Auf diesem Weg sind schon – beispielsweise – verschiedene frauendiskriminierende Bestimmungen aus Gesetzen und Tarifverträgen des Bundesrepublik Deutschland beseitigt worden. Oder ein anderes viel zitiertes Beispiel: Die in Deutschland jahrzehntelang praktizierten Regelungen zum "Bereitschaftsdienst" (beispielsweise in Krankenhäusern) wurden auf diesem Weg gekippt.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist der Erfolg von Michael Csaszkóczy vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und einem hessischen Verwaltungsgericht im Jahr 2007 hoch zu bewerten. Hätten die dortigen Richter anders entschieden, wäre die Einschaltung des Europäischen Gerichtshofs irgendwann unumgänglich geworden. Vielleicht wollten die beteiligten Richter/innen gerade das vermeiden? Und nicht auszuschließen ist, dass auch die Fragebogen- und Einschüchterungspraxis in Bayern und einigen östlichen Bundesländern irgendwann auf den Prüfstand dieses Gerichtshofs kommen könnte - weshalb zuweilen in konkreten Fällen der Ball flach gehalten wird ...